DER KAUFMANN VON VENEDIG

von William Shakespeare

Übersetzung: Maik Hamburger

Regie, Musik: Nora Somaini

Premiere: 2007, Bremer Shakespeare Company

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Fotos  © Marianne Menke


Mit: Tobias Dürr, Tim Lee, Peter Lüchinger, Theresa Rose, Petra-Janina Schultz, Markus Seuß

Bühne: Uschi Leinhäuser, Nora Somaini
Kostüme: Uschi Leinhäuser
Video/Projektionen: Till Caspar Juon
Dramaturgie: Stephan Weiland
Choreographie: Christine Stehno, Nora Somaini

INHALT

Der venezianische Kaufmann Antonio, gerade selbst knapp bei Kasse, leiht vom Juden Shylock 3000 Dukaten, damit sein Freund Bassanio, standesgemäß um seine geliebte Portia, eine lukrative Partie, werben kann. In Erwartung, bald wieder liquide zu sein, lässt sich Antonio auf die Bedingung Shylocks ein: bei Nichteinlösung des Schuldscheins zum festgelegten Termin, darf sich Shylock ein Pfund Fleisch aus Antonios Körper schneiden. Bassanios Werben um Portia hat Erfolg, doch Antonio ereilt die Nachricht, dass seine Schiffe gesunken und er ruiniert ist. Trotz Bassanios Angebot, Antonios Schuld dreifach abzugelten, besteht Shylock auf seinem Pfund Fleisch. Seine Unnachgiebigkeit nährt sich aus Rachsucht für all die Schmähungen, die er als Jude zu erdulden hat: er besteht auf der buchstabengetreuen Erfüllung seiner Bedingung. Doch seine verbissene Suche nach Gerechtigkeit kehrt sich gegen ihn selbst. Portia, als Rechtsgelehrter verkleidet, verkündet zwar, dass sein Anspruch zu Recht bestehe, dass er aber bei seiner Handlung kein Blut vergießen dürfe. Damit muss Shylock auf die Einlösung der Schuld verzichten. Als Strafe für seine unmenschliche Bedingung verliert er sein Vermögen an Antonio. Zu allem Unglück verliert er auch noch seine Tochter, die, um seinem strengen väterlichen Regiment zu entkommen, mit Lorenzo durchbrennt, und wird auch aus der Gemeinschaft der Juden ausgeschlossen, weil er sich per Gerichtsbeschluss taufen lassen muss.

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Fotos © Nora Somaini

Die Regisseurin Nora Somaini inszeniert das Stück aus der radikal subjektiven Perspektive des Kaufmanns Antonio. Finanzielle und emotionale Abhängigkeiten, die Suche nach absoluter Sicherheit vor dem Risiko und die Angst vor der eigenen Schwäche bestimmen den Handel, den der Kaufmann Antonio und der Bankier Shylock in Venedig abschließen. Antonio, aufgerieben zwischen finanzieller und persönlicher Hybris, bietet seinem Gegner Shylock selbst sein eigenes Fleisch als Pfand gegen ein Darlehen an. Ein Angebot, das Shylock, menschlich und gesellschaftlich zutiefst beleidigt und verachtet, nicht ablehnen kann - endlich sieht er seinen Moment der Rache an Antonio und Venedigs Handelshonoratioren gekommen.

Traumähnliche Filmprojektionen spiegeln das Innenleben der Figuren, das unter dem Zwang der gesellschaftlichen und ökonomischen Rollenbilder eben nicht „gelebt“ werden kann.

KRITIK

Nora Somaini hat in ihrer Inszenierung die Charaktere sehr exakt herausgearbeitet. Sie hat neben den technischen Neuigkeiten auch eine ungewohnt puristisch und gleichzeitig prägnante Arbeit auf die Bühne gebracht. Dem Ensemble, dem auch körperlich viel abverlangt wurde, sowie dem Publikum, das so etwas bisher aus der shakespeare company nicht kannte, schien es großen Spaß gemacht zu haben.
BREMER ANZEIGER

Frischer Wind bei den Shakespeares! Im Stück wird hinreißend getanzt und mit Videoinstallationen gearbeitet. Vor allem sorgen Urgestein Peter Lüchinger als Shylock und Beate Weidenhammer als Portia für herrliche Momente. Der Lohn: Applausgewitter vom Publikum.
BILD

Wenn Shylock die Stimme erhebt und vom „teuer erkauften Pfund Fleisch“ spricht, welches er nun aus seinem Handelspartner Antonio herauszuschneiden beabsichtige: Dann, spätestens dann ist auch die wohlmeinendste Deutung hinfällig geworden. An der bremer shakespeare company hat sich nun Peter Lüchinger der riskanten Rolle angenommen; im Vertrauen darauf, dass der Schweizer Regisseurin Nora Somaini eine zeitgemäße und gleichwohl schlüssige Deutung gelingen würde.
Schließlich beendet Saleria als Vertreterin des Gerichts das unwürdige Spiel. Dies allerdings geschieht nicht aus moralischen Gründen, sondern vielmehr, um mittels juristischer Finessen dem Staat den strittigen Betrag zuzuschustern. Eine frappierende und einleuchtende Interpretation: Der Dialog der bürgerlichen Gesellschaft reduziert sich auf ökonomische Überlegungen, doch bevor das Geld fließt, greift es die Staatsmacht ab. Sinnhaft begründetet Medieneinsätze vervollständigen das Gesamtbild einer hervorragenden Regie.
Im Zusammenspiel mit einer darstellerischen Leistung, die besonders bei dem geschäftsmännisch auftretenden Peter Lüchinger überzeugt, resultiert daraus einer der besten Abende, die in den vergangenen Jahren am Leibnizplatz zu erleben waren.
KREISZEITUNG

…entpuppte sich rasch als wahres Bühnen-Highlight. toll umgesetzt und großartig gespielt.
WESER-REPORT

Mit ihrem „Kaufmann von Venedig“ zeigt sich die bremer shakespeare company ästhetisch im neuen Licht. In der Inszenierung von Nora Somaini geht es äußerst körperlich zu und erstmals sind auf der futuristisch kalt gestalteten Bühne Videoprojektionen zu sehen. Ein Wirtschaftskrimi aus Oberitalien, so kommt auch die gut zweistündige Inszenierung daher. Sehr kurzweilig und ohne Pause lässt Nora Somaini die Geschichte um Rache, Hass und die Macht des Geldes als Rückblende aus der subjektiven Sicht des Kaufmanns Antonio erzählen. Überhaupt trumpft die Inszenierung mit Ideenreichtum und Bezügen zur heutigen Wirtschaftswelt auf. Somainis „Wirtschaftskrimi“ offenbart menschliche Beziehungen als Gebilde finanzieller wie emotionaler Abhängigkeiten. Sie entlarvt die Spiele der Macht als Netz aus Sex, Unterwerfung, Unterdrückung und Gewalt. Somaini findet immer wieder neue Sinnbilder. Insgesamt ist dieser Kaufmann eine kurzweilige und jugendlich wirkende Inszenierung, die von der ungebremsten Spielfreude des 6-köpfigen Ensembles getragen wird.
DIABOLO

Peter Lüchinger, Urgestein der bremer shakespeare company, spielt den Shylock, Tim Lee den Antonio, die Titelrolle: Er ist der Kaufmann von Venedig. Dieses „ist“ steht da nicht nur der Konvention halber. Es steht da mit gutem Grund. Und vor allem und vorneweg ist Lüchinger Shylock, ein sehr sehenswerter Shylock. Das liegt vor allem am Regie-Ansatz. Die Figuren sind in kühles Videolicht getauchte Bewohner einer unbestimmt-klinischen Welt heutiger Hochfinanz: Somaini hat sie mit Lust an der Aggression gezeichnet. Sympathisch ist niemand. Aber ihr erbitterter Kampf berührt.
TAZ

In Somainis ungemein präzis konturierten Charakteren steckt eine Fülle an überraschendem Deutungspotenzial. Sie deckt auf, dass das Verhältnis von Antonio zu seinem Busenfreund Bassanio latent homoerotisch ist. Nur mit Mühe zähmt Markus Seuß als Bassanio Portia, die so widerspenstig wie einst Turandot ihr Kästchen-Rätsel stelllt. Grandios choreografiert die Szene, in der sie zuvor von einer anonymen Menschenmenge sexistisch bedrängt wird. Nora Somaini zeigt hier Ursache und Wirkung einer latenten Aggressivität. Tim Lee zieht uns als Antonio in den beklemmenden Sog seiner existenziellen Ängste hinein. Der Außenseiter Shylock ist nicht der ewige Jude, sondern ein „Kondottiere des Geldes, ein Triumphator der wirtschaftlichen Macht und seiner ganz persönlichen Überlegenheit“. Die Regisseurin zeigt in ihrer Inszenierung eine im wahrsten Wortsinn herzlose Gesellschaft. Die Regisseurin setzt mit ihrer Lesart eine Zäsur in der Ästhetik der company. Ihr ungemein körperlicher Inszenierungsstil dürfte besonders den Nerv der jungen Generation treffen.
Viel Applaus für alle Beteiligten.

WESERKURIER