Macbeth

Berliner Morgenpost: Blutige Kunst: Macbeth, der letzte Samurai
BZ: Totentanz mit Heiner Müllers "Macbeth"
Berliner Zeitung: Der Kampfanzug ist schwarz
Neues Deutschland: Perfektionierte Arbeit Mord

Blutige Kunst: Macbeth, der letzte Samurai

 

Es sind reichlich Särge da.
Aus rohen Holzbohlen grob zusammengezimmert, stapeln sich die länglichen Kisten auf der Bühne. Sie werden immer wieder verschoben und neu arrangiert, dienen dem König als Thron, seinem Gefolge als Speisetafel,
Macbeth als Liebeslager.
Vor allem aber: Sie werden nach und nach gefüllt.

 

Regisseurin Nora Somaini hat Heiner Müllers Version von Shakespeares "Macbeth" für die Sophiensäle inszeniert. Und es geht blutig zu − wie in allen Geschichtsendspielen des DDR−Vorzeigedramatikers, der den Shakespeare−Stoff zur Parabel auf die Diadochenkämpfe im real versagenden Sozialismus umwidmete. In Somainis Variante der Geschichte vom skrupellosen Königskiller wird viel gemordet, aber mit Stil. Sie konfrontiert Müllers sprachmächtigen Polit−Thriller mit japanischem Schwertkampf. Macbeth, der letzte Samurai. Iaido heißt diese Technik, deren Philosophie darin besteht, dass eine Stimmung permanenter Kampfbereitschaft erzeugt wird. Sehr passend für Rosse, Macduff, Malcolm und die anderen, die keine Gelegenheit zur Heimtücke verstreichen lassen.

 

Ganz abgesehen von Macbeth selbst. Michael Scherff gibt einen sehr nuancenreichen Königsmörder, der sich vom Zauderer zum Macht habenden Ehrgeizling entwickelt und seinen Größenwahn zum Lebensprinzip erhebt (mit einer zunächst toughen, dann schön verhuschten Katharina Eckerfeld als Lady an seiner Seite). Bei aller Entfesseltheit der Moral gilt es trotzdem, Regeln einzuhalten. Rituale, denen sich alle bedingungslos unterwerfen, und sei es nur das Niederknien vor dem Kampf oder eine bestimmte Art, den Tee zu trinken. Sie überdauern Tyranneien. Eine schöne Idee, die allerdings einen großen Nachteil hat: Die Figuren, die da in ihren Kampfanzügen mit asiatischen Zeichen die Schwerter schwingen, erzeugen eine seltsame Distanz, rücken von uns weg.

 

Viel besser funktioniert das zweite tragende Element der Inszenierung: In einer Mischung aus japanischen traditionellen Klängen und Funk, durch Verzahnung und Repetition integriert Pianist und Percussionist Nik Bärtsch live eine zweite Ebene in das Bühnengeschehen. Oft nur durch winzige Geräusche mit riesiger Wirkung: Das lautsprecherverstärkte Knirschen, wenn mal wieder ein Messer in einen Körper eindringt, geht durch Mark und Bein. Und jedes Mal danach wird ein neuer Sarg mit einem neuen Namen beschriftet. Auch Macbeth wird an seinem Größenwahn zu Grunde gehen.
Aber, das legt das Ende nah, Tyrannennachfolger gibt es auf dieser Welt mehr als genug. Und das Erschreckende: Es sind noch reichlich Särge frei.

 

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BZ: Totentanz mit Heiner Müllers "Macbeth"

 

Duncan, Lady Macduff, Banquo− alle paar Minuten wird der Name eines weiteren Feindes von Macbeth auf einen Brettersarg geschrieben. Bis sich die Totenkisten zum Gebirge türmen.
Obenauf der paranoide Schottenkönig (überzeugend Michael Scherff als Mabeth). Mord half ihm ins Amt, Mord hält ihn im Amt. Wer warum sterben muß− darüber verliert man in Heiner Müllers Macbeth − Bearbeitung in den Sophiensaelen den Überblick. Regisseurin Nora Somaini ließ kunstvoll metzeln, mit Samurai− Schwertern, "Kill Bill" lässt grüßen.

 

Bis Macbeth fiel, floss literweise Blut. Herzblut war leider nicht dabei.

 

von Patrick Callendar

 

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Berliner Zeitung: Der Kampfanzug ist schwarz

 

In Nora Somainis "Macbeth" wechselt das rote Trikot

 

Sie saufen auf Befehl. Sie singen die Hymne mit starren Augen und Körpern. Selbst im Vollrausch strafft sie ihr Kampfgeist bis zum Anschlag: Party beim Militär.

 

Lady Macbeth (Katharina Eckerfeldt) hat die kleine Feier eingefädelt. Heiter und lüstern spielt sie die Wirtin. Später steigt Gatte Macbeth (Michael Scherff) durch die schlafenden Krieger, deren Körper im Traum zucken, und tötet Duncan, den König von Schottland. Lady Macbeth träufelt Blut auf das Gesicht von Malcolm, Duncans Sohn. Der Verdacht des Vatermords ist gestreut. Am Morgen flieht der blutgezeichnete Sohn. Macbeth´ Krönung steht nichts mehr im Wege. Er tauscht den schwarzen Kampfanzug gegen das rote Trikot von Duncan und wird, da Macht niemandem geschenkt wird, ab jetzt zum Massenmörder.

 

In Nora Somainis Inszenierung von Heiner Müllers "Macbeth" wird jede Leiche einzeln von der Bühne geschleift. Die acht Schauspieler müssen oft töten und sterben. Dabei ist das Töten die weitaus härtere Arbeit. Die Morde selbst sind unspektakulär, aufreibend ist die Vor− und Nachbereitung. Denn die Leistung der gestählten Männer besteht vor allem in dem Gewaltakt, mit dem jeder friedvolle Anteil aus der eigenen Seele geschnitten wird. Die strikte Reduktion des Menschen auf den Willen und die Fähigkeit zur Zerstörung ist es, die einem die Kehle zuschnürt. Die Regisseurin thematisiert die Skrupellosigkeit als flächendeckendes Phänomen sowie die Anstrengung, darin zur Meisterschaft zu gelangen.

 

Auf Holzsärge, die zu einer Bastion gestapelt in den verrotteten Festsaal der Sophiensaele ragen (Bühne und Kostüme Doey Lüthi), schreiben sie mit Kohle erst Namen, später bloß noch "Mörder III". Die Särge füllen sich. Der Zustand der Welt, die Heiner Müller in seinem von Fieber getriebenem Text von 1971 einfängt, ist roh wie das Holz, aus dem die Särge sind. Die Spieler, in kampfsportliche Kluften verpackt oder in golden beschriftete Laborkittel gehüllt, vollführen auf leisen Sohlen die alte japanische Schwertkunst Iaido. Mittels perfekter Körperbeherrschung rast das Geschehen in eine Atmosphäre permanenter Feindseligkeit. Im Chor schnappen sie nach den Sätzen des Dichters und beißen mit dessen Worten zu. In die kalte, spröde Kriegslandschaft ist ein schwarzer Flügel gerammt. Daran sitzt Nik Bärtsch, der Musiker. Seine Töne kommentieren, akzentuieren, peitschen die Szenen. Er bedient Tasten und Schlaginstrumente, seziert mit dem Schlegel die Eingeweide des Instruments. Treffsicher legt er Müllers Sprachkraft frei bis in die Wortzwischenräume.

 

Macbeth, von Schlaflosigkeit gepeinigt, erklettert die Gefilde der Macht. Unter seinen Sohlen türmen sich Leichen, darunter die der ehrgeizigen Gattin. "Himmel und Hölle haben einen Rachen. Mein Tod wird euch die Welt nicht besser machen.", sagt Macbeth, bevor er im Kampf stirbt.

 

Es ist Malcolm, der dem toten Herrscher das Gewand auszieht. Das rote Trikot wechselt den Besitzer

 

von Katja Oskamp

 

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Neues Deutschland: Perfektionierte Arbeit Mord

 

Regisseurin Nora Somaini inszenierte "Macbeth" in den Sophiensaelen

 

Macbeth ist gekleidet wie ein Samurai und beherrscht die japanische Schwertkunst. Seine Gefolgsleute tragen ihren Rängen entsprechende Schwertkampfgewänder. In Heiner Müllers "Macbeth" in den Sophiensaelen ist der schottische Thronräuber nicht nur ein Mörder, sondern Abbild des modernen Schlächters, der das Töten perfektioniert hat.

 

Eine Inszenierung mit wuchtigen und starken Bildern bringt Regisseurin Nora Somaini auf die Bühne. Diese ist voller langer Holzkisten, wie man sie in Frachträumen sieht. Die Schauspieler schieben die Kisten hin und her, sie dienen als Thron, als Schlafstätten, werden zu einer Burg gestapelt. Was auf der Bühne geschieht, geht in sauber aufeinander abgestimmten Rhythmen − Musik, Bewegung, Sprache − ineinander über.

 

Fünf Soldaten sprechen mit einer Stimme: Haltung, Ton, Aussagen, es gibt keine Unterschiede mehr, die Synchronisation ist total. Die Hexen, die Macbeth weissagen (hervorragend: Michael Scherff), stecken in zerlumpten Gewändern mit Rot−Kreuz−Kappen auf dem Kopf. Es geht äußerst blutig zu auf der Bühne. Von Lady Macbeth (Katharina Eckerfeld) angestachelt, ermordet der Schotte den König. Danach kann er nicht mehr aufhören mit dem Töten. Wie Tom Cruise in "The Last Samurai" metzelt in der Inszenierung Macbeth mit dem japanischen Samuraischwert seine Feinde nieder. Doch ohne Pathos und Heldentum, es geht nur um nackten Machterhalt.

 

In der fast zweieinhalbstündigen Inszenierung zeigt die Regisseurin zu welch tödlicher Perfektion Macht fähig ist. Einerseits faszinieren Kraft und Perfektionismus, andererseits kommt Ekel hoch angesichts der blutigen Ergebnisse dieses durchgestylten Systems, das nur Ego−Interessen kennt und die Erbarmungslosigkeit zum Durchsetzungsprinzip macht. Aber die Hölle, die der Sieger den anderen bereitet, muss er auch in sich tragen. Wortgewalt und starke Bilder legen die Asozialität strikt elitärer politischer Systeme bloß, die sich auf die rücksichtlose Durchsetzung ihrer Interessen stützen.
Heiner Müller zeigt uns Macbeth als modernen Schlächter.

 

Regisseurin Nora Somaini perfektioniert dieses Bild erfolgreich durch die japanischen Riten. Töten ist nur noch eine Frage der Technik. Eine starke Inszenierung.

 

von Robert Meyer

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