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Hamlet – die Butoh-Version in der Bremer Shakespeare Company
Unter der Regie von Nora Somaini hatte Shakespeares Hamlet am 28. Januar in der Bremer Shakespeare Company Premiere. Es ist nicht ihre erste Arbeit für dieses Theater, vor zwei Jahren lieferte sie mit dem „Kaufmann von Venedig” eine viel beachtete Bearbeitung. Es ist auch nicht ihre erste Bearbeitung von Hamlet und wie sie in einem Interview des Bremer Kulturjournals "Foyer” sagt, "ist der Stoff so reichhaltig, dass man ihn in einer Inszenierung niemals bewältigen kann, auch nicht bewältigen sollte”. Daher hat sie sich für eine Frage entschieden, die sie zum Mittelpunkt des Abends machen möchte: "Was ist mit den Toten?”
Nicht nur der bereits zu Beginn erscheinende Geist des ermordeten Vaters von Hamlet ist nicht mehr Teil der menschlichen Tagwelt, im weiteren Verlauf gesellen sich fast alle Protagonisten zu ihm in die Schattenwelt. Diese Tagwelt ist privilegiert und findet in der schützenden Blase des Königshofs von Dänemark statt. Dort können sich die bekannten Ränkespiele – Bruder (Claudius) ermordet Vater (Hamlet sen.) und heiratet dessen Frau (Gertrude), der trauernde Sohn (Hamlet jun.) befindet sich in einem gegenseitigen Umgarnungsprozess mit der Tochter (Ophelia) des Höflings (Polonius). Diese wird von ihrem forschen Bruder (Laertes) in korrekt-keuschem Verhalten belehrt, der sich dann mit königlicher Genehmigung flugs nach Paris davonmacht.
Aber alle werden früher oder später Teil der Schattenwelt, die das Hier und Jetzt zu umschließen scheint und die Schatten ziehen ohne Regung ihre Bahn und tanzen den "Tanz der Finsternis” – Butoh. Oder mit den Worten eines Altmeisters des japanischen Butoh-Tanzes Tatsumi Hijikata: "In der heutigen Zeit zu leben, heißt von irreführenden Symbolen und lästigen Konventionen umgeben zu sein. Überall ist eine dunkle Unsicherheit. Aber wir schütteln den Seelen, die vor uns gegangen sind die Hände und sie geben uns ihre Kraft. Das ist die unlimitierte Kraft des Butoh.”
Lediglich der einzige Freund Hamlets Horatio entgeht dem Hades. Offensichtlich hat Horatio die Gabe des Mittlers zwischen den Welten; nie ist man sicher, wo er sich gerade befindet, im Hier und Jetzt oder im Jenseits – Mensch oder Geist, Mann oder Frau – eine Steilvorlage der Regie für den spannenden Horatio von Janina Zamani.
Insgesamt ist die schauspielerische Leistung des Ensembles ausgezeichnet. Christian Bergmann als Hamlet ist ein entscheidungsgebremstes Muttersöhnchen, nett in rotem Pullunder und schwankend zwischen Wut und Beherrschtheit. Svea Meiken Petersen gibt Ophelia und Gertrude, die jeweils ihre Nähe zum wohl nicht ohne ihre Mithilfe gewonnenen Zweit-Mann Claudius und zu Sohn Hamlet dadurch hervorhebt, indem sie deren Körpersprache übernimmt. Diesem Prinzip scheint die Hackordnung am Hof von Helsingör grundsätzlich zu folgen. Denn König Claudius (Peter Lüchinger), der im Kern ein gefährlich biederer Kleingeist mit brutaler Entschlossenheit ist, hat offensichtlich nach der Ermordung einen Kursus „Wie bewegt sich ein König- würdevolles Auftreten in 24 Stunden” gemacht. Nun werden seine ungelenken, affektierten Armbewegungen vom gesamten Hofstaat adaptiert, auch wenn sie noch so lächerlich sein mögen. Besonders die Hofschranze Polonius wird von Michael Meier so ausgestattet, dass er zum Vergnügen der Zuschauer in untertänigstem Gehorsam den Körper-Sprachschatz noch um einige besonders absurde Bewegungen erweitert. Darüber hinaus sorgt er zusammen mit Gunnar Haberland (auch Laertes und Francisco) als Hamlets Kommilitonen Guildenstern und Rosencrantz – hier sind beide offensichtlich aus Osteuropa und dem Genuss alkoholischer Getränke nicht abgeneigt – dafür, dass die düstere Stimmung aus Hofstaat und Totenreich das Publikum nicht zu sehr beherrschen kann.
Es ist beeindruckend, wenn alle Schauspieler immer wieder als Teil der Geisterwelt in langsamer, ruhiger und konzentrierter Prozession – es sieht viel leichter aus, als es ist – in Gewändern, die Leichensäcken ähneln, die Menschenwelt umrunden, sie quasi einschließen. Das Bühnenbild von Ulrich Leitner zeigt diesen Raum als Kunststoffblase getrennt von der Finsternis der Toten. Auf diese Trennschicht projiziert Till Caspar Juon Videoaufnahmen, die die Schauspieler im Spiel mit Handkameras aufnehmen. Dies verstärkt den Eindruck der Trennung der Welten. Nicht immer ist es möglich, als Zuschauer festzustellen, wie viele Ebenen derselben Situation gleichzeitig auf der Bühne zu sehen sind – Darsteller, Schatten, Aufnahmen.
Vielleicht würde die Gefahr, die aus der Machtgier der Herrschenden und der zur Absicherung dieser Macht gekauften Unterwürfigkeit noch beklemmender wirken, wenn das Publikum nicht gleichzeitig diese starke Bildsprache der beiden Welten verarbeiten müsste. Aber die Bilder bleiben und es ist gelungen, hier ein Stück zu zeigen, das nachwirkt und beschäftigt. Mag einer auch die Erkenntnis gewinnen, dass es sich lohnen mag, sich in der Jetzt-Welt nicht gar zu schlecht aufzuführen. Vielleicht ist dies das Geheimnis des Horatio und gleichzeitig seine Erlösung?
Und zuletzt, was ist mit den Toten? „Man muss die Toten achten und schätzen. Früher oder später werden auch wir gerufen. Wir müssen die Toten in unsere Nähe holen und mit ihnen zusammen leben.” (Tatsumi Hijikata).
Solange wir aber noch hier in Bremen weilen dürfen, sollten wir es nicht versäumen, der Bremer Shakespeare Company einen Besuch abzustatten und uns auf eine moderne, zeitnahe und interessante Reise mitnehmen zu lassen.
Etwas ist faul im Plastik-Rund
von Andreas Schnell
Bremen, 28. Januar 2010.
Es stimmt schon, dass die Bremer Shakespeare Company oft eher in den Komödien (nicht nur denen ihres Namenspatrons) überzeugte. Der "Kaufmann von Venedig", den Nora Somaini vor zweieinhalb Jahren dortselbst inszenierte, überraschte dann allerdings mit einem für die Company ganz unerwarteten Stil: Mit Videoprojektionen, einem kühlen Bühnenbild und dem Verzicht auf die gelegentlich klamaukigen Exkurse, die manche Inszenierung der Company würzen, brachte sie frischen Wind ins Haus.
Und ihr "Hamlet" erfüllte gestern Abend die Erwartungen, die in sie gesetzt wurden. Mit einem entschlackten Text, der ganz ohne die außenpolitischen Ereignisse um den norwegischen König Fortinbras auskommt und auch sonst ein paar Überraschungen bietet, zeigt sie die Geschichte in einem Mikrokosmos, der durch ein Halbrund aus Plastikfolie umgrenzt ist, welches das Personal in aller Regel kriechend durch ein Loch im Boden betritt, während um die Halbkugel herum immer wieder gespenstische Gestalten schlurfen. Die Folie dient zugleich als Projektionsfläche für die Bilder der Handkamera auf der Bühne. Reizvoll auch die Kostüme: Hamlet (Christian Bergmann) wird beispielsweise als Muttersöhnchen in einem schreiend roten Pullunder eingeführt, Claudius (Peter Lüchinger), sein frischgebackener Stiefvater, steckt in einem futuristisch anmutenden Rock.
Rasender Hamlet, staubfrei
Ungefähr in die Gegenwart versetzt, in der natürlich später statt einer Theater- eine Filmvorführung den Vater entlarven wird, hat der Prinz, angewidert vom neuen König, enttäuscht von seiner treulosen Mutter, mit dem Wunsch des toten Vaters zu kämpfen, der hier gleich als Chor durch die Nacht Helsingörs geistert. Dabei wird die Figur Hamlet gründlich von Klischees befreit. Nicht einmal der berüchtige Anfangssatz des berühmten Monologes klingt hier, wie er immer klingt: "Ein Mensch zu sein oder nicht…", heißt es da, ein Schädel kommt auch nicht vor. Und die eintrudelnde Hofgesellschaft gibt diesem Hamlet nicht einmal Zeit genug, sein Sinnieren auszukosten.
So klopft die Regisseurin dem Stoff den Staub ab und zeigt einen rasenden Hamlet, dessen Straucheln und Zaudern sich immer wieder auch körperlich, in epileptischen Anfällen, ausdrückt – eine Art moderner Fürst Myschkin aus Dostojewskis "Idiot". Dessen Moral scheitert am Zynismus der Macht, die Peter Lüchinger als Claudius glänzend personifiziert, assistiert von seinem Gefolgsmann Polonius (Michael Meyer).
Kalt bis kindsköpfig
Was übrigens nicht die einzige Ebene dieser Arbeit ist: Da gibt es Rosencrantz und Guildenstern, die zu einer Art Turbo-Folk als zotige Russen die Szenerie betreten und Stichwörter wie "Kapitalismus", aber auch pornografisches Vokabular der drastischeren Art injizieren und Hamlet als "Schwuchtel" bezeichnen – Symptom einer Gesellschaft, in der Härte als Stärke gilt. Da herzen sich Polonius und sein Sohn, derweil das Königspaar sich in stilisierter Gestik kaum je berührt. Da wird Heiner Müllers "Hamletmaschine" angeworfen, als Hamlet seine Mutter bestürmt. Da gibt es offenbar ein technisch hochgerüstetes Überwachungsregime.
Ohne das Stück zu überfrachten, sorgt das für einen spannenden Abend, der von seinem Publikum einfordert, sich auf seine visuellen, gestischen Mittel einzulassen, und nicht zuletzt auch auf den Sound, den Somaini geschaffen hat. Hoch artifiziell, geradezu kalt auf der einen Seite, hoch emotional bei Hamlet, kindsköpfig bis an die Grenze des Erträglichen bei Ophelia (Svea Meike Petersen, auch als Gertrude zu sehen).
Am Ende ist wenig Hoffnung: Nach dem Duell, bei dem sich Laertes (Gunnar Haberland) und Hamlet in einer Art Wetttauchen messen, reiht sich selbst Horatio (reizvoll zwischen naiv und weise changierend: Janina Zamani) ein in die geisterhafte Prozession, die um die mittlerweile am Boden liegende Plastikhülle kreist.
vom 30. Januar 2010
Der Wurm frisst den König
Es ist doch immer wieder schön und beschämend zugleich, wie wortgewaltig der alte Shakespeare schon vor 400 Jahren seine Geschichten vom wirklichen Leben auszuschmücken wusste. Und wie unerschrocken. Wie ein König seinen Weg durch die Gedärme eines Bettlers nehmen kann? Ganz einfach, jedenfalls für Hamlet: "Jemand könnte mit dem Wurm fischen, der von einem König gegessen hat, und von dem Fisch essen, der den Wurm verzehrte."
Regisseurin Nora Somaini hat mit der Shakespeare Company die alte Geschichte und die alten Sprüche zu einem beinah multimedial gestalteten Märchen auf die Bühne gebracht. Eine riesige Plastikplane füllt das Bühnenbild, die als bewegte flexible Leinwand funktioniert, eine faszinierende dramaturgische Idee. Mit der kleinen Videokamera werden immer wieder verzerrte Detailansichten des Spiels auf die Leinwand geworfen.
Der Hamlet-Darsteller Christian Bergmann erscheint in seinem roten Pullover am Anfang wie einer von der Friedrich-Ebert-Straße, der sich auf die Bühne verirrt hat. Im Laufe des Stückes zieht er die Zuschauer immer mehr in seinen Bann – als Verkünder der Shakespeare-Wahrheiten und als Mann, dessen Irrsinn eine fast schon normal zu nennende Reaktion ist auf die irrsinnige Welt. Dieser Hamlet überzeugte sein Publikum vor allem im zweiten Teil.
von Klaus Wolschner
vom 30. Januar 2010
Wirklich lustig wurde es erst, als die Vorstellung vorüber war.
Denn dann trat der Schauspieler Peter Lüchinger vor das Publikum und forderte es auf, sich diesen „Hamlet“ der Bremer Shakespeare Company noch einmal anzugucken: weil man das Stück beim ersten Hinsehen kaum verstehen könne, so viel Denkstoff liefere es. Dem ist nichts hinzuzufügen – außer vielleicht die Empfehlung an das Publikum, sich nächstes Mal lieber eine andere „Hamlet“-Inszenierung anzusehen, eine, die nicht nur verständlicher, sondern auch durchdachter ist als ausgerechnet diese der Shakespeare Company.
Denn dass die Regisseurin Nora Somaini (und womöglich auch das Ensemble) den „Hamlet“ auch nach mehrwöchiger Probenzeit immer noch nicht verstanden hat – das wird in dieser Inszenierung offensichtlich, und zwar spätestens nach zehn Minuten, in der zweiten Szene. Wer den Text kennt, spürt sofort: Es geht in die falsche Richtung!
Es treten in dieser Szene (unter anderem) auf: Hamlet, seine Mutter Gertrude und Claudius, der frisch gebackene König von Dänemark, zugleich Gertrudes neuer Ehemann und Hamlets Onkel. Prinz Hamlet kann ihn nicht leiden. Ohne zu diesem Zeitpunkt zu wissen, dass sich Claudius nicht nur über die Heirat Gertrudes die Krone erschlichen, sondern auch den Vater – aus Claudius Perspektive: leiblichen Bruder – ermordet hat, verspürt Hamlet eine tiefe Abneigung gegen diesen König. Auch versteht Hamlet (der immer laute Christian Bergmann) seine Mutter (Svea Meiken Petersen) nicht, die – kaum dass der Vater unter der Erde lag – sich mit Claudius eingelassen hat. Tief verstört und getroffen weigert er sich, diesen Stiefvater als Vater anzunehmen und als König anzuerkennen. Es ist eine der bittersten und zugleich wichtigsten Szenen des gesamten Stücks – aus welcher sich sicherlich eine Menge ziehen lässt.
Witzig aber ist diese Szene nicht. Und sie wird auch dadurch nicht komischer, dass insbesondere Claudius (Peter Lüchinger) nahezu jeden seiner Sätze mit einer affektierten Gebärdensprache unterstützt (soll das eine Robert Wilson-Persiflage sein? Falls ja: Wo bleibt die Pointe?). Um Missverständnissen vorzubeugen: Natürlich kann man ein solch vielschichtiges Stück wie den „Hamlet“ unterschiedlich deuten. Die eine richtige Interpretation gibt es nicht. Wer aber den Text liest, wird im Normalfall zu dem Ergebnis gelangen, dass es sich tatsächlich – wie von Shakespeare deklariert – um ein „Trauerspiel“ handelt und nicht um eine Klamotte.
Den Beweis am Leibnizplatz liefern die Folgeszenen: Denn hier, so gewinnt man den Eindruck, versucht die Regisseurin zurück zu rudern. Auf einmal – wenigstens partiell – nimmt sie Shakespeares Figuren wieder ernst. Doch es ist bereits zu spät. Die Fallhöhe des Stücks ist verloren. Man nimmt der Inszenierung keine Ernsthaftigkeit mehr ab: Sie rauscht vorüber, ohne den Zuschauer jemals zu bewegen.
Umso weniger, als viel zu viel Schnickschnack auf der Bühne vom eigentlichen Geschehen ablenkt. Es geht schon damit los, dass die Figuren ständig mit Handkameras herum irren, um sich selbst zu filmen und die Produkte der Mühen an einen Gaze-Vorhang zu werfen. Das kennt man zur Genüge aus vielen Inszenierungen. Hier aber will sich einfach nicht erschließen, was das Ganze soll. Man ist versucht, zu sagen: Bei Shakespeare hatte Hamlet andere Sorgen. Auch gibt es den Geist des toten Vaters nicht einmal, sondern gleich viermal. In der Spielfassung der Company ist dieser Geist nahezu permanent auf der Bühne präsent, greift sogar in das Geschehen ein: Der Reiz seiner rätselhaften Erscheinung verpufft somit schnell. Teile seines Textes spricht das Ensemble im Quartett. Dagegen gäbe es nichts einzuwenden – sprächen die Schauspieler denn synchron. Derlei Szenen wirken schlampig geprobt. Dieser „Hamlet“ ist der Shakespeare Company vollkommen missraten.
von Alexander Schnackenburg
vom 31. Januar 2010
aus Nachtkritik.de – Kritikenrundschau
Somaini erzähle das "tot interpretierte" Stück als "effektvolles Kammerspiel" mit "supercoolen Projektionen" und "zurückhaltender Musik", die "stimmungsvoll ins sinnliche Erlebnis" hineinwirke, schreibt wiederum Lars Warnecke im Weser-Report (31.1.2010). Dass dieser "Hamlet" nicht zur "seelenlosen High-Tech-Show" gerate, sei Somainis Ideenreichtum, teils "deftigem Humor" sowie den "exzellent agierenden" Schauspielern zu verdanken. Nach zweieinhalb "atemlosen Stunden" mit "freiwillig komisch inszeniertem Gift-Duell" am Ende sei "die Welt als Mördergrube enttarnt".
vom 4. Februar 2010
Lebendiges Theater!
Leben und Tod liegen in Shakespeares Hamlet nah beieinander.
Im Theater am Leibnizplatz zeigt sich dies in einem kleinen Universum, wo die Geister der Vergangenheit zunächst wie Außerirdische wirken. Erst mit der Zeit wird klar, dass diese nicht nur ab und an erscheinen, sondern irgendwie immer mit dabei sind und nichts unversucht lassen, ihren Einfluss in den Köpfen der Lebenden geltend zu machen.
Hamlets Vatergeist sind hier viele! Ein großes rundes Gebilde, eine Art Ballon aus dicker milchglasweißer Kunststofffolie hängt wie eine übergroße Blase von der Decke bis zum Fußboden. Dahinter, daneben und darin sind Personen schemenhaft zu erkennen. Sie reden im Chor, zum Teil mit verfremdeten Stimmen, die wie aus veralteten Science-Fiction-Klassikern klingen. Horatio (Janina Zamani), Hamlets engster Freund agiert wie ein Mittler zwischen Lebenden und Toten. In gleicher Kleidung wie Hamlet, dabei jedoch totenbleich und in morbid-kobolthaftem Verhalten, erscheint er wie ein Teil von Hamlet oder sein Spiegel. Die Inszenierung spielt mit dem Grotesken, das sich dem jungen Hamlet bietet.
Die dazu besonders choreographierte Bewegungssprache (Tanztraining: Christine Stehno) sowie der Gebrauch von Sprechchor und anderen Überzeichnungen lassen die Welt in absurdem Licht erscheinen. Dabei schafft es die Inszenierung mit spielerischer Leichtigkeit (auch im Text!), das klassische Stück aufs Heute zu beziehen. Stilistisch wird dazu auch das Medium Film eingesetzt. So ist es hier die Illusionsmaschine Film, welche die Wirklichkeit verdrehen wie entlarven kann. Denn nicht mit einem Theaterstück, sondern mit einem Video-Film versucht Hamlet den Mörder seines Vaters bloßzustellen. Außerdem wird das gesamte Geschehen, wie in einer Reportage, immer wieder gefilmt und live wiedergegeben. Christian Bergmanns Hamlet, zum Anfang der Inszenierung noch ein verwöhnter, ungefestigter und zaudernder Schuljunge mit Hang zur Beinahe-Ohnmacht, entwickelt sich zusehends zum analytisch denkenden Erwachsenen, der Verantwortung für sein Leben übernimmt. Leider ist seine reifende Entschlusskraft nicht so schnell wie die Ereignisse um ihn herum. Wie soll er in dieser Benzinschnupfenden egozentrisch-dekadenten Welt des abgrundtiefen Verbrechens, die Frage nach der richtigen Tat gegen das Böse lösen, ohne selbst zum Verbrecher zu werden?
Unangestrengt und klug unterhält und fesselt diese Inszenierung ihr Publikum über zwei Stunden und 40 Minuten, indem sie ihre Sicht auf die Dinge auf den Punkt bringt. Was hier aber am meisten begeistert:
Nora Somaini lässt das durchweg überzeugende Ensemble spielen und Ideen selber entwickeln.
Viel Applaus für ein lebendiges Theater!