Die Geschichte vom Soldaten

Neue Presse
Hannoversche Allgemeine

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Strawinsky unterm Steintor
Tolles Theaterprojekt: Mit Üstra-Oldtimer zur „Geschichte vom Soldaten“ fahren.
von Henning Queren

Hannover, 15. September 2010
Die exklusivste Opernbühne der Stadt? Liegt zur Zeit unterm Steintor. Ein Endstück, in dem Üstra-Bahnen umkehren und das ansonsten keinem zugänglich ist, dient dem Schlussakt von Strawinskys legendärer „Geschichte vom Soldaten“.

Das passt. Denn Strawinsky hat seine „Geschichte“ 1918 ausdrücklich für eine Wanderbühne mit entsprechend einfacher und transportabler Ausstattung geschrieben.

An drei Orten wird das Musiktheater gespielt. Start ist am Üs­tra-Depot in Döhren, hier beginnt das märchenhafte Spiel. Zwei Üstra-Oldtimer (Baujahr 1929 und 1950) fahren dann die Zuschauer durch die Nacht. Nächste Station ist der Platz vorm Kuppelsaal, Strawinsky open-air im Scheinwerferlicht. Das Orchester ist in einem kleinen Zelt untergebracht, der Üstra-Bahnwagen dient als Bühne. Danach gehts dann tief in den Untergrund unter dem Steintor. Das hat was, Strawins­kys Tango, angeschrägte Walzer und Ragtimes sind zu hören – und über sich spürt man entfernt das Grollen der regulären Stadtbahnlinien.

Unter den Schauspielern ragt Jan Jaroszek als überaus verführerischer Teufel heraus – mit ihm würde nicht nur der Soldat (David Müller) gern einen Pakt schließen. Nora Decker ist eine recht selbstbewusste Prinzessin.

Die Geschichte vom Soldaten, der seine Geige dem Teufel verkauft, eine Prinzessin heilt und am Ende seine Seele verliert, ist ansprechend aktualisiert (Regie: Nora Somaini) – wenn da Teufel und Soldat auch gern mal um iranische Atombomben zocken.

Musikalisch steht alles zum Besten, das „Orchester im Treppenhaus“ (Leitung Thomas Posth) spielt die teilweise ziemlich schwierigen Instrumentalparts mit der nötigen Verve. Kleiner Tipp noch: Unbedingt in der Bahn des Teufels zusteigen, da gibts auch während der Fahrt noch eine klasse (Strip-)Show.

Nächste Vorstellungen: heute, 27. und 29. September je ab 19.30 Uhr (Üstra-Betriebshof Döhren, Thurnitistraße 1). Karten (20 Euro) im Üstra-Kundenzentrum (in der Karmarschstraße).

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Hannoversche Allgemeine

Strawinskys „Geschichte vom Soldaten“ feiert Premiere in der Straßenbahn

Es ist eine ungewöhnliche Theaterinszenierung, die das Orchester im Treppenhaus und das Theaterensemble Rotolux 2 auf die Bühne gebracht haben. Denn die Bühne, auf der Strawinskys „Geschichte vom Soldaten“ in Hannover Premiere feierte, ist eine alte Straßenbahn.

Freie Bahn dem Nachwuchs: Nora Decker als Gehilfin des Schaffners, äh: des Teufels.

von Stefan Arndt

Hannover, 14. September 2010
Für schlichte Wanderbühnen haben sich Igor Strawinsky und Charles Ferdinand Ramuz ihre 1918 entstandene „Geschichte vom Soldaten“ gedacht: eine groteske Fehleinschätzung, wenn man bedenkt, dass das Stück mit technischen und inhaltlichen Schwierigkeiten gespickt ist, die sich keinesfalls im Vorbeigehen lösen lassen.

In Hannover ist die holzschnittartige Faust-Variation, bei der ein Soldat dem Teufel seine Seele in Form einer Geige verkauft, nun aber mächtig ins Rollen gekommen: Schauspielstudenten haben sich mit ihren Kommilitonen vom Orchester im Treppenhaus verkuppelt und das Stück statt auf die Bühne in eine historische Straßenbahn gebracht. Gespielt wird auf und neben der Spur, in einer Depothalle der Üstra (die sich hier bestens als Kulturveranstalter bewährt), im Freien vor dem Kuppelsaal und tief unter dem Steintor auf einem toten Gleis.

Aufgeteilt auf zwei Museumsbahnen, die auch als U-Bahn unterwegs sind, fahren die Zuschauer zu den unterschiedlichen Spielorten. Die Schauspieler sorgen dabei für Unterhaltung: Während in der einen Bahn die Geschichte weitererzählt wird, gibt es in der anderen Getränke – und die Gelegenheit, selbst den Trank anzumischen, der den Teufel zwischenzeitlich außer Gefecht setzen wird. Draußen fährt derweil die Stadt vorbei: das normale Leben, das aus dieser Perspektive plötzlich seltsam unwirklich und farblos aussieht.

Die Idee der ungewöhnlichen Spielorte ist gut, die Umsetzung noch viel besser. Da schadet es nicht, dass Regisseurin (und Hochschulprofessorin) Nora Somaini das eigentlich knapp einstündige Stück auf weit mehr als das Doppelte gestreckt hat. Das von Thomas Posth geleitete, von Lucie Travnickova herrlich goldkettig kostümierte Orchester steuert dazu noch ein bisschen mehr Strawinsky (einen winzigen Ausschnitt aus „Petruschka“) und „Hänschen klein“ bei – der große Rest der Zeit gehört den Schauspielern. Die wissen sie zu nutzen: Jan Jaroszek ist ein fulminanter Teufel, der erst richtig aufdreht, wenn es wirklich eng wird. Auf dem Weg zu den Spielorten macht er die schmale, vollbesetzte Straßenbahn mit vermutlich überwiegend improvisierten Einlagen zur großen Bühne. Er ist intensiv, virtuos, witzig – und im siebten Semester: ein Sonderangebot für alle Theaterintendanten.

Neben ihm halten sich David Müller und Nora Decker als Soldat beziehungsweise Erzählerin und Teufelsgehilfin ebenfalls gut: So wird das kleine Musiktheaterstück zu einem großen Schauspielerfest. Entsprechend groß war am Ende die Begeisterung auf dem Abstellgleis, das anzusteuern nur empfohlen werden kann.

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