Märkische Allgemeine vom 21.9.2006: ANTIGONE in der Parkaue |
Tagesspiegel vom 17.9.2006: Zum Familienstreit passen sie kaum |
21.09.2006 / Märkische Allgemeine
„Antigone“ an der Parkaue
Ein Bunker. Die Decke hängt tief, an der Rückwand führt ein Wassertunnel ins Dunkle, links ist eine Bühne auf der Bühne errichtet. Darin ein Erdhügel und zwei Pissoirs. Ulrike Siegrist hat einen engen, dichten Raum gebaut, rechts an die Wand einen Fernseher gehängt und Stapel von Umzugskisten aufgehäuft. Hier also soll der Fall Antigone verhandelt werden. In dieser unwirtlichen, spröden Kellerwelt, die aussieht, als seien alle nur auf einen Sprung vorbeigekommen. Und als sei die leidbringende Geschichte über Antigones Eigen- und Kreons Starrsinn aus der Realität gefallen. Ist sie nicht. Aber Regisseurin Nora Somaini hat die Distanz zu Sophokles‘ Tragödie einerseits vergrößert, um sie andererseits verkleinern zu können. Sie versucht damit, sowohl einer platten Aktualisierung als auch einer einschläfernden Musealisierung des Stoffes entgegenzuwirken.
Zu Beginn wird aus dem Off die Rahmengeschichte erzählt: Wie es kam, dass Antigone sich gegen das königliche Gebot Kreons auflehnt und den toten Bruder beerdigt, um dem göttlichen Recht zu dienen, das die Beerdigung der Toten verlangt. Am Ende darf das Publikum mit gelben und roten Karten abstimmen, wie die Geschichte ausgehen soll. Eine Lehrstücksituation.
Der Zuschauer wird reflektierend in das Geschehen einbezogen. Dazwischen wird die Konfliktlandschaft entblättert. Kreon ist an diesem Abend eine Frau (Birgit Berthold) mit Hang zum Zynismus, die den gefühllosen Anforderungen des Machterhalts ihre kalte Seele zur Seite stellt. Spott und Häme sind ihre Waffen. Blanke Wut und brodelnder Zorn die der Antigone (Elisabeth Heckel). Zwei Frauen, die auch handgreiflich werden. Und die beiden Enden einer Skala, auf der sich das Leben, der Machtkampf, die Liebe abspielt: hier eisiges Kalkül, dort ungebremste Leidenschaft.
Auf solche Dualismen hat es der Abend überhaupt angelegt. Nicht nur antikes Denken und moderne Demokratie prallen aufeinander, auch die simulierte Medienwelt mit dem noch immer realen Leben. Der Bote bringt seine schlechten Nachrichten per Fernseher vor, die Folgen aber lassen sich nicht wegzappen. Antigone wird verurteilt, Kreons Macht zerbricht. Somaini, die zuletzt in Jena eine kluge „Amphitryon“-Inszenierung herausgebracht hat, spannt den Bogen der Widersprüche bis zum Reißen. Nur die Darsteller sind dieser Energie nicht immer gewachsen – und retten sich in Schrei- und Wutorgien, die äußerlich bleiben. Dennoch eine bemerkenswert konsequent inszenierte „Antigone“.
An einem Kinder- und Jugendtheater, das sich der beschränkenden Forderung nach pädagogischem Auftrag entzieht. Das Theater an der Parkaue, das größte seiner Art in Deutschland, will keine pädagogische Erziehungsbeihilfe sein. Es will, seit Kay Wuschek vor einem Jahr die Intendanz übernahm, die Verschiedenheit von Bühnenästhetiken ausbreiten. Weil viele Kinder und Jugendliche hier ihre ersten Theatererfahrungen sammeln, sollen und dürfen sie erleben, was Theater alles bedeuten kann.
von Dirk Pilz
Tagesspiegel vom 17.9.2006: Zum Familienstreit passen sie kaum
Ist Teiresias, der Seher, Geheimdienstchef? Als graue Eminenz steuert er in der Antigone im Theater an der Parkaue das Geschehen.
Weil sich Kreon, der neue Herrscher in Theben, als Weib offenbart? Jedenfalls hat der Prophet (Lutz Dechant) die Stadt zu einem ungemütlichen Ort gemacht, zu einem Verlies, das nur durch eine Art Abwasser-Röhre betreten werden kann. Leichen, eine Kammer mit Klosettsitz, von rechts donnert Herrschersohn Haimon durch eine splitternde Ziegelwand (Bühne: Ulrike Siegrist). Die Geschichte um Tod, Macht und Widerstand spielt im Heute, Fernsehbilder reichern sie an, Akkubohrer, Umzugskisten, alles ist flüchtig. Das Volk von Theben ist ein biederes Hausmeister−Ehepaar (Helmut Geffke, Franziska Ritter). Birgit Berthold stattet Kreon mit dem Raffinement und der erotischen Begehrlichkeit einer machtlüsternen Frau aus. Mit Antigone liefert sie sich einen Kampf um Lebensansprüche, nicht um den Willen der Götter.
Die nämlich passen nicht in die familiäre Auseinandersetzung − Regisseurin Nora Somaini will die alte Tragödie griffig machen. Das gelingt; Elisabeth Heckels Antigone ist eine trotzige junge Frau, lustvoll ordinär, ohne den Liebreiz von Ergebung und Todessehnsucht. Zum Schlimmsten kommt es ja auch nicht, am Schluss stimmt das Publikum ab, wie alles ausgehen soll. Da wird es, Sophokles vergib, recht putzig (wieder morgen 19 Uhr).
von Christoph Funke